Mit dem Partner oder der Partnerin Videospiele zu spielen, kann zu den erfüllendsten Momenten einer Beziehung gehören. Gemeinsam Abenteuer erleben, gemeinsam Kräfte messen, gemeinsam Erinnerungen schaffen, ob nun mit Controller in der Hand oder auf den Zuschauerrängen sitzend: Es sind besondere Momente, die beide Menschen miteinander teilen – und die zu besonders schmerzvollen Momenten werden können, wenn sich beide Wege trennen.
Dieser Schmerz kann mit der Zeit wieder vergehen, schwächer werden, zusammen mit den Erinnerungen an die gemeinsame Zeit wieder verblassen. Oder aber er bleibt und macht die virtuellen Welten, in denen ehemals gemeinsame Erinnerungen geboren wurden, zum verbrannten Niemandsland. Ein Ort, den die Zurückgebliebenen meiden.
Was dann? Kann der Spaß an diesen gebrandmarkten Spielen wieder neu entdeckt werden?
Diese Frage ging mir immer und immer wieder durch den Kopf, während ich dieser Tage unglücklich vor dem Startbildschirm von Crusader Kings 3 saß. Es ist mein Lieblingsspiel.
Es war mein Lieblingsspiel.

Leicht machte es mir dieser Titel nicht, ihn so sehr ins Herz zu schließen. Um in Crusader Kings 3 auch nur halbwegs erfolgreich als Familienoberhaupt durchs Mittelalter zu navigieren, braucht es Übung, Geduld und Lernbereitschaft. Das Erkunden der dutzenden, weit verschachtelten Menüs und Textboxen gehört hier ebenso zu den Grundanforderungen wie ein Crashkurs in mittelalterlichem Erbrecht und den Regeln des Feudalsystems.
Eine hohe Hürde, die sich inmitten einer Pandemie aber als willkommene Ablenkung herausstellte – und die Belohnung für meine Hartnäckigkeit war gigantisch. Für mich eröffnete sich ein Spiel, das mich in all seinen Aspekten maßlos faszinierte: Ich machte meine walisische Königsfamilie zu den Herrschen über ganz Britannien, ich trauerte um meinen einzigen Thronerben, der während der Jagd unverhofft verstarb und ich stöhnte fassungslos auf, als mich meine eifersüchtige Ehefrau im Schlaf vergiftete.
All diese Momente teilte ich mit meiner damaligen Partnerin. Nennen wir sie Sophie.
Als wir uns kennenlernten, hatte Sophie mit Spielen nicht viel am Hut. Als Kind hatte sie ihren Bruder regelmäßig am Nintendo 64 in Mario Kart gedemütigt, bevor sie mit den Teenager-Umwälzungen andere Hobbys für sich entdeckte. Ihre grundsätzliche Faszination für Videospiele aber hatte sie nie verloren und so dauerte es nicht länger als einen PS5-Controller-Crashkurs, bis wir gemeinsam in die virtuellen Welten loszogen.
In den kommenden Monaten der Pandemie spielten wir GTA 4 komplett durch, eroberten alle Dungeons von Diablo 3 auf gleich mehreren Schwierigkeitsgraden und diskutierten darüber, ob Watch Dogs: Legion nun großartig oder großartiger Müll sei. All diese Spiele kann ich noch immer selbst genießen, unsere Trennung hat bei ihnen keine Spuren hinterlassen.
Aber dann ist da Crusader Kings.
Wir haben dieses Spiel nie gemeinsam gespielt. Stattdessen war es mein „Durchhänger-Ding“: Wenn wir einmal keine Lust auf gemeinsame Runden in Diablo 4 oder GTA hatten, sondern jeder für sich sein wollte, stürzte sie sich in Mediatheken und ich mich ins europäische Mittelalter. Aber die vielen Triumphe, Niederlagen und spannenden Momente teilte ich trotzdem mit ihr: Als mein walisischer König den Thron Britanniens bestieg, drehte ich mich begeistert rufend auf dem Schreibtischstuhl, während sie mich von der Couch aus nur belustigt ansah. Als mein einziger Thronerbe während der Jagd verstarb, war ich so traurig und frustriert, dass sie mich aufheitern musste. Und als meine eifersüchtige Ehefrau den König im Schlaf vergiftete, machte Sophie einen beißenden Witz, der uns beide zum Lachen brachte.
Heute sind wir getrennt. Und während ich mit jedem Aspekt dieser Partnerschaft abschließen konnte, bleibt Crusader Kings 3 das Niemandsland unserer Beziehung. Ein Ort, an den ich mich nicht mehr wagen will, der mich unglücklich und traurig macht. Der Spaß, die Faszination ist weg.
Als ich das, Monate nach unserer Trennung, erstmals so richtig realisiere, mache ich meiner Frustration mit einem Tweet Luft. Daraufhin erreichen mich viele Nachrichten von Menschen, die genau die gleichen Erfahrungen gemacht haben, wie ich auch. Ich frage nach, schreibe Freunden und Freundinnen und höre immer wieder ähnliche Geschichten. Geschichten von ehemaligen Lieblingsspielen, die mit dem Partner oder der Partnerin geteilt wurden – und die heute, nach einer Trennung, zum Kloß im Hals geworden sind. Ein unangenehmer Eintrag in Steambibliothek oder eine Spielepackung, die in die hinterste Ecke des Regal gewandert ist.
Aber lässt sich das nicht irgendwie umkehren? Wie bekomm ich ihn zurück, den Spaß am Spiel?
Diese Frage stelle ich den Psychologen Dr. Benjamin Strobel, der gemeinsam mit zwei KollegInnen den Podcast „Behind the Screens“ moderiert regelmäßig Spiele mit Themen der Psychologie zusammenbringt. Auch er kennt das Gefühl, wenn ein Lieblingsspiel zum Niemandsland wird:
„Für mich ist das The Witcher 3. Daran kann ich mich sehr gut erinnern, es war sehr schnell eins meiner Lieblingsspiele – und meine damalige Freundin hat total viel zugeschaut, auf diese Weise alles miterlebt. Ich weiß auch noch, wie sehr sie sich für die Hauptfigur, den Hexer, begeistert hat, und für die Geschichte des Spiels (…).“
The Witcher 3 wurde für das Paar schnell zum gemeinsamen Abenteuer, wie sich Strobel weiter erinnert: „Wir haben das sehr, sehr viel gemeinsam gespielt. Ich glaube, ich habe es kaum mal alleine gespielt, und wenn doch dann, dann musste ich erzählen, was passiert. Es war wie ein gemeinsames Hobby, das man sich sucht, eine gemeinsame Aktivität für insgesamt rund 100 Stunden.“
Dann kam die Trennung, kurz vor dem Finale von The Witcher 3. Seitdem hat Benjamin Strobel das Spiel nicht mehr angefasst, auch wenn das Ende der Beziehung mittlerweile Jahre zurückliegt: „Ich schätze, dass das auch damit zu tun hat, dass es keine leichte Trennung war. Es lief nicht so smooth ab, sondern war schon eine eher schwierigere Sache. Das hat, denke ich, erheblich dazu beigetragen.“
Für Benjamin Strobel sollte sich daran auch erst einmal lange Zeit nichts ändern: The Witcher 3 war für ihn schlicht unspielbar geworden. „Ich habe immer mal wieder an das Spiel gedacht, diesen Spielstand weiterzuspielen, scheute mich dann aber gerade in der Anfangszeit davor sehr. Das fühlte sich nicht richtig an. Einerseits war das in dem Moment nichts, was ich alleine spielen wollte, andererseits war es auch sehr eng mit diesem Beziehungserlebnis assoziiert.“
Erst allmählich, immerhin mehrere Jahre nach der Trennung, hat der Psychologe das Gefühl, dass er bereit dazu ist, sich dem Spiel wieder zu nähen: „Vielleicht werde ich den Release der Next Gen Version zum Anlass nehmen, das Spiel einfach noch einmal für mich zu spielen und es wieder zu etwas zu machen, das nur für mich ist.“ Er will sich The Witcher 3 wieder neu zueigen machen, „zurückholen“, wie er sagt – und genau darin liegt laut dem Psychologen auch die Antwort auf die Frage, wie man den Spaß an eigentlich verbrannten Spielen neu entdecken kann.
Bevor wir aber zur Lösung meines und unseres Problems kommen, kann mich der Psychologe beruhigen: Das Phänomen, das ich und so viele andere Menschen an sich beobachten, ist in der Psychologie gut bekannt und erforscht: „Eine Trennung, selbst wenn sie gut abläuft, ist immer auch traurig. Es gibt immer ein Gefühl von Abschied und dass ein Lebensabschnitt endet. Sowas ist immer eine Art von ‚kritisches Lebensereignis‘, wie es die Psychologie nennt.“
Im Zuge dieses kritischen Lebensereignis färben dann die negativen Emotionen, die man eigentlich mit der Trennung und dem Schmerz, der Wut, der Frustration verbindet, auf Gegenstände und Medien ab. Gegenstände und Medien, die in der Beziehung irgendeine Rolle gespielt haben, von der Tasse, aus der die Partnerin einmal getrunken hat über ihr Lieblingscouchkissen – bis hin zum gemeinsamen Videospiel.
„Man entwickelt eine Übersensibilität, weil das einen so stark selbst beschäftigt, und erst einmal sieht man überall die Assoziationen, die man über Zeit aufgebaut hat. Grundsätzlich sind das also Lernprozesse wie bei der klassischen Konditionierung: Ein Reiz koppelt sich an den anderen, wenn ich an das eine denke, habe ich auch eine Assoziation zu etwas anderem.“
Die gute Nachricht: Dieser Lernprozess lässt sich „überschreiben“ – entweder ganz automatisch und unbewusst, sobald genug Zeit nach der Trennung verstrichen ist („Die Zeit heilt alle Wunden“ ist tatsächlich ein Ding in der Psychologie), oder auch bewusst: „Durch Exposition kann all das sehr gut wieder entlernt werden, also indem man einfach nur das Spiel spielt und dabei lernt, weniger an die alten Assoziationen zu denken, weniger an die vergangene Partnerschaft – und so kann man sukzessive diese Assoziationen ablösen.“
Mit anderen Worten: Zähne zusammenbeißen, losspielen, aushalten – und dann neue Erinnerungen an das Spiel schaffen, die die alten überschreiben. Ein bisschen also wie früher mit dem Tintenlöscher im Deutschheft, der immer noch ein paar Spuren vom alten Satz übrig ließ, aber genug Raum für den neuen Satz schuf.
Je früher man dieses Überschreiben allerdings versucht, desto frischer sind noch die Eindrücke von der Trennung – und desto hartnäckiger laut Strobel die negativen Assoziationen mit dem Spiel selbst. Wie viel Zeit dabei „genug“ ist, hängt von jedem Menschen selbst ab. Dafür gibt es keine allgemeingültige Antwort, sondern nur das eigene Bauchgefühl als Richtwert.
Mir genügt das. Mir genügt das Wissen, dass ich eines Tages mein altes Lieblingsspiel wieder genießen kann, ohne diesen dicken, schweren Kloß im Hals zu spüren.
Noch ist er da. Aber irgendwann wird auch dieses Gefühl enden.