„Das sieht richtig gut aus! Suchst du vielleicht nach einem Publisher?“ Mit diesem Tweet kommentiert Johan Toresson, Scout des schwedischen Publishers Raw Fury, im September 2021 ein GIF von Rene Habermann. Es zeigt den Prototypen einer Game-Jam-Idee, die den jungen Entwickler aus Dresden nicht mehr loslässt. Und der antwortet: „Ich bin interessiert! Lass uns reden!“
Ein Jahr später erscheint Habermanns Spiel Dome Keeper in Zusammenarbeit mit Raw Fury – und innerhalb der ersten 24 Stunden knacken die Verkäufe die Millionen-Dollar-Marke. Es ist eine Erfolgsgeschichte zweier Teams, die auf Twitter zueinander fanden und die beispielhaft illustriert, wie wichtig diese Plattform für die Vernetzung der Spielebranche weltweit immer war. Aber dieses Ökosystem ist bedroht.
Die Go-To-Plattform für eine ganze Branche
Tweets erlauben niedrigschwellig direkte Kommunikation, viel persönlicher als eine Mail, aber immer noch nicht so aufdringlich wie eine WhatsApp-Nachricht oder womöglich sogar ein Telefonanruf. Über Retweets können Menschen ihre Reichweite anderen Menschen leihen und ihre Arbeit den eigenen Followern zeigen. Und wer einen der viel genutzten Hashtag wie #indiedev oder #visiblewomen durchstöberte, entdeckte schnell viele neue spannende Menschen, die irgendwie mit der Spielebranche zu tun haben.
Auch ich habe als Journalist diese Plattform trotz ihrer vielen Probleme – schlechte Moderation, nervige Trolle und Sexbots in meinen Direktnachrichten, um nur einige wenige zu nennen – immer gerne genutzt. Dort stand ich mit EntwicklerInnen im direkten Austausch, konnte Einblicke in ihre Arbeit gewinnen, Interviews führen, kurzfristig Rückfragen zu ihren Spielen stellen, sogar neue Aufträge gewinnen.
Jetzt aber wird diese so wichtige Online-Infrastruktur der Spielebranche von Elon Musk, dem neuen Twitter-Chef, und seinem wirren Führungsstil bedroht: In den letzten Wochen sind immer mehr Menschen auf andere soziale Netzwerke ausgewichen, haben sich Newsletter als Alternative eingerichtet oder ganz der direkten Vernetzung abgeschworen. Ich sah all das und fragte mich: Welche Konsequenzen hat diese allmähliche Zersplitterung für die Indie-EntwicklerInnen, die bisher so aktiv auf der Plattform waren? Und wie wichtig ist Twitter eigentlich überhaupt noch als Marketing-Tool, um SpielerInnen tatsächlich zu erreichen und neue KundInnen zu gewinnen?
Diese Fragen habe ich einigen EntwicklerInnen gestellt, vorrangig Indie-Devs aus dem deutschsprachigen Raum, die kein großes Marketing-Budget haben und daher ganz besonders auf gute Vernetzung, Algorithmen und Glück angewiesen sind – und ihre Antworten deuten allesamt in eine sehr ähnliche Richtung.
Twitter als Marketing-Tool? Eher nicht.
Das ist die erste große Erkenntnis, die ich aus meinen Gesprächen mit EntwicklerInnen mitnehmen konnte. Einer von ihnen ist Joshua, der als „Stuffed Wombat“ mit seiner Arbeit experimentelle, ungewöhnliche Spielideen verfolgt. Er twitterte zu Beginn seiner Karriere einige Gifs seiner Prototypen, die teilweise viral gingen und konnte sich so ein Branchen-Netzwerk auf Twitter aufbauen.
Aber auch der erfolgreichste Tweet hat Grenzen, die laut Joshuas Erfahrung gar nicht mal so weit verlaufen: „Twitter ist eher ein soziales Netzwerk für die Branchenvernetzung. Die breite Masse der Konsumenten ist dort nicht und sieht auch die viralsten Tweets nicht. Das, was durch den potentiellen Zerfall der Plattform wegfällt, sind hauptsächlich internationale Bekanntschaften und Netzwerke – diese informellen Freundschaften, die die Indie-Industry global zusammenhalten. Entwickler, die wissen, was sie tun, werben schon lange nicht mehr auf Twitter für ihre Spiele, sondern bei den Game Awards oder auf Tiktok oder was auch immer.“
Dem stimmt René Habermann zu, der mit Dome Keeper einen großen Erfolg hinlegen konnte: „Twitter ist praktisch irrelevant, wenn es darum geht, die Spieler – also die Kunden – zu erreichen. Da gibt es andere Plattformen, die besser laufen und nicht zuletzt die Stores selbst. Wo Twitter aber Primus ist, ist das ‚professionelle Netzwerk‘, also die Beziehungen zu anderen EntwicklerInnen. Wir haben beispielsweise fast alle Freelancer über Twitter gesucht und gefunden. Gerade im Pixelart-Bereich ist die Plattform dominant.“
Auch Svenja Borchert, die beim Hamburger Indie-Studio CrazyBunch und damit an den neusten Larry-Spielen arbeitet, reiht sich mit ihrer Einschätzung hier ein: „Für Marketing hat es uns tatsächlich gar nicht so viel genutzt. Twitter war aber gut, um einfach präsent und ohne große Hürden erreichbar zu sein. Das haben vor allem JournalistInnenn, StreamerInnen, YouTuberInnen, aber auch SpielerInnen gemacht, wenn sie Fragen zum Spiel hatten, nicht weiter kamen, Bugs melden wollten – oder um auch einfach Lob oder Kritik loszuwerden. Und wir haben die Plattform manchmal wie einen kleinen Devlog genutzt oder um witzige Sachen zu teilen, die wir irgendwo in unseren alten Dateien gefunden haben. Ein kleines ‚Hallo, wir sind übrigens auch noch da‘, besonders wenn wir gerade wegen eines NDA nichts über unsere aktuelle Arbeit sagen dürfen.“
Doch es gibt auch Ausnahmen: Devs, die Twitter tatsächlich erfolgreich als Marketing-Tool genutzt haben. Zu ihnen gehört Marcus Bäumer, der zuletzt mit seinem Team Backwoods das Adventure Unforeseen Incidents veröffentlicht hat: „Twitter war immer eine gute Plattform für uns, um unsere Spiele bekannter zu machen, über den aktuellen Stand der Entwicklung zu berichten und um mit er Community in Kontakt zu bleiben. Über die Zeit hat unser Account über 8.000 Follower angehäuft, die mal mehr, mal weniger regelmäßig bespaßt wurden. Aber es war stets unsere erste Anlaufstelle, wenn wir die Öffentlichkeit informieren wollten. Aber auch, was Business-Kontakte anging, war Twitter hier hilfreich. Presse, Publisher, SprecherInnen, andere EntwicklerInnen, mögliche GeschäftspartnerInnen – da kam schon der ein oder andere hilfreiche Kontakt zustande.“
Mit jeder neuen Nachricht aus dem Twitter-Hauptquartier, das immer mehr MitarbeiterInnen freiwillig oder unfreiwillig verlassen, verlieren NutzerInnen nach und nach das Vertrauen in die Plattform und suchen Alternativen. Aber diese Suche ist gar nicht mal so einfach.
Alternativen zu Twitter gibt es viele – aber keine ist ein echter Ersatz
Rettungsboote, in die Twitter-UserInnen springen können, gibt es mittlerweile reichlich: Von sozialen Netzwerken wie Mastodon und Hive über Video-Plattformen wie TikTok und Twitch bis hin zum klassischen Newsletter. Svenja Borchert von CrazyBunch gibt eine Übersicht: „Mastodon sehe ich nicht als Alternative für Eigenwerbung, weil sie schlichtweg auf den meisten Servern nicht erlaubt ist. Für den lockeren Austausch finde ich es aber bisher sehr angenehm, da vor allem die Interessen im Fokus stehen. TikTok wird von einigen schon sehr erfolgreich genutzt, dafür muss man die Plattform aber verstehen und bedienen können, was für uns jenseits der 30 bisher nicht so gut geklappt hat.“
Diese Herausforderung mit TikTok kennt auch Marcus Bäumer: „TikTok ist gerade vermutlich die Plattform, auf der man es noch schaffen kann, mithilfe der Algorithmen auch kostenlose Reichweite zu generieren und sein Spiel einem großen Publikum bekannt zu machen. Aber: man muss sich auf der Plattform wohl und zuhause fühlen. Wenn der Content und die Art des Creators so gar nicht zum Publikum des Netzwerkes passt, dann wird es schwierig und am Ende nur frustrierend. Nur weil andere auf TikTok erfolgreich sind, heißt das nicht, dass das automatisch der eigene Weg sein muss.“
Ergänzend bringt Bäumer eine weitere Plattform ins Spiel: Discord, ein Kommunikationstool, das wie ein riesiger Chatroom funktioniert. „Involvement ist ein ganz wichtiger Kennwert auf sozialen Netzwerken und das ist in unserem Bereich auf Discord vielleicht am höchsten, wo der Kontakt zu den Entwickler*innen noch persönlicher und weniger distanziert wird und auch innerhalb der Community Interaktionen entstehen. Discord wäre demnach eins der erstrebenswerten Ziele für den eigenen Marketing Funnel, den Weg, den die Communitymitglieder gehen auf dem Weg vom ersten mal vom Studio hören zum Communitymitglied, das später die Spiele kaufen wird. Aber wie kriegt man die Leute dort hin? Über genau die Wege, die einem am besten liegen und die zum Produkt passen – ob das Reddit, Imgur, Mastodon, TikTok, Instagram, … ist – das ist ganz individuell.“
Auch Svenja Borcherts Kollegin Kerstin Buzelan weist auf das Potential von Discord hin: „Alternativ kann ich mir vorstellen, dass die Relevanz von Twitch und Discord zunehmen wird. Twitch für Behind the Scenes und QA, wenn man sich wirklich mal die Zeit nimmt und Discord um Community-Fragen irgendwie zu bündeln und eine Anlaufstelle für Spieler zu haben. Aber ich denke, dass sich da erst noch eine neue Plattform entwickeln muss, die das ersetzt, was Twitter bisher war: nämlich eine Plattform, um leicht an Neuigkeiten ranzukommen.“
Fazit: Twitter als Marketing-Tool spielt für viele Devs längst keine große Rolle mehr, dafür haben sich andere Plattformen wie TikTok als effizienter und reichweitenstärker herausgestellt. Der große Wert des blauen Vogels aber liegt für alle EntwicklerInnen, mit denen ich sprechen konnte, woanders – nämlich in der Kontaktpflege mit der eigenen Community, mit JournalistInnen und KollegInnen. Diese Funktion hat Twitter jahrelang hervorragend erfüllt – und trotz der vielen ähnlichen sozialen Netzwerke da draußen bleibt Twitter nach wie vor alternativlos. Ein Verlust und ein Weggang von der Plattform, aus welchem Grund, ist ein herber Schlag, den sich nicht jeder Indie-Dev einfach so leisten kann. Oder um es mit den Worten von Joshua alias Stuffed Wombat zu sagen: „Was für mich konkret verloren geht, sind genau die Beziehungen, die mir bis jetzt beim Überleben geholfen haben – und das viel mehr als irgendwelche Werbetweets.“
Nach meinen Interviews für diesen Artikel habe ich mich mit Thomas Reisenegger vor das Mikro gesetzt, um die Problematik aus seiner Perspektive noch einmal gründlich zu durchleuchten. Thomas ist Gründer der PR-Firma Future Friends und betreut dort Indie-Studios von der Konzipierung der Marketing-Strategie bis zum Schreiben von schmissigen PR-Mails.
In dieser Funktion betreute er schon Spiele wie Vampire Survivors, Omno, Festival Tycoon und viele weitere. Er half mir zu verstehen, wie kompliziert die Situation für EntwicklerInnen wirklich ist – und wie groß heutzutage die Herausforderung ist, mit dem eigenen Videospiel noch aus der großen Menge an Konkurrenz hervorstechen. Den Podcast findet ihr hier und überall sonst, wo es Podcasts gibt:
Ich danke allen EntwicklerInnen, die für diese Recherche mit mir sprachen. Außerdem ein großer Dank an Leonie Wolf, die das Teaserbild für diesen Artikel entworfen und illustriert hat.