Eigentlich hätte Shadow Gambit der Beginn eines neuen Kapitels für Mimimi Productions werden sollen. Wochen vor dem Release zogen die Designer des Münchner Entwicklerstudios von Interview zu Interview, um nicht nur ihr kommendes Spiel zu bewerben, sondern auch „ihr“ neues Genre vorzustellen: „Stealth Strategy“, also Schleichspiele mit starker Taktik-Note, die das rund 50-köpfige Team in den letzten Jahren zu ihrer Spezialität gemacht hatte – und das, obwohl diese Spielart zu den alten Knochen der Branche gehört, der seit 20 Jahren kaum noch von jemandem ausgegraben wurde.
„Aus dem Hamsterrad aussteigen“
Wie die Rückkehr dieses einst so beliebten Genres aussehen sollte, demonstrierte Mimimi erst mit Shadow Tactics, dann mit Desperados 3: Vertrautes Spielprinzip, aber im Detail innovativ, grundlegend modernisiert, klug gemacht und mit Liebe gestaltet. Pressestimmen dankten der Genre-Wiederbelebung mit hervorragenden Bewertungen und erhoben das Studio Interview um Interview zum Kritikerliebling des Landes. Shadow Gambit sollte diese scheinbare Erfolgsgeschichte nun krönen – und markierte stattdessen den Endpunkt von Mimimi.

Am 29. August kündigte das Entwicklerteam die Schließung des Studios an. Alle MitarbeiterInnen müssen sich einen neuen Job suchen, der Name „Mimimi“ ist nach 12 Jahren Geschichte. In einem Blogpost erklären die beiden Gründer Johannes Roth und Dominik Abé die Gründe für diese Entscheidung, die sich so zusammenfassen lassen: Die Geschäftsführer sind ausgebrannt und erschöpft, die Arbeit an Shadow Gambit war ein Kraftakt und die Energie zur neuerlichen Geldsuche fehlt.
Minuten nach Veröffentlichung dieses Blogposts war die Website von Mimimi vorübergehend offline. Zu viel Andrang auf die Server. Die deutsche Spielebranche verfiel einige Stunden lang in Schockzustand.
Während die Mimimi-Köpfe auf Nachfrage von OK COOL um Verständnis bitten, selbst erst einmal keine Interviews geben und sich stattdessen um die internen Abwicklung kümmern zu wollen, drängen sich andere, große Fragen auf: Welche Folgen hat die Schließung eines der bekanntesten Entwicklerstudios Deutschland für die hiesige Entwicklerwelt? Wie reagieren die übrigen Teams hierzulande auf die überraschende Neuigkeit? Und ist die Schließung womöglich als Symptom einer kränkelnden Branche zu deuten – oder eben doch „nur“ übliches Risiko in unserer modernen Arbeitswelt?
Mit diesen Fragen ist OK COOL an ganz unterschiedliche Menschen der Szene herangetreten, vom langjährigen Entwickler bis zum Newcomer-Indie, um ein Stimmungsbild zu zeichnen. Und dieses Bild, soviel sei schon hier gesagt, ist besorgniserregend. Unsicherheit, Sorge und Frust herrschen vor in der deutschen Spielebranche.
Eine Branche schüttelt den Kopf
Ralf Adam, der seit vielen Jahren als Producer und Projektberater aktiv ist, fasst seine Reaktion auf die Schließung von Mimimi mit ganz ähnlichen Worten zusammen, wie sie im Zuge dieser Recherche immer wieder geschrieben und gesagt werden sollen: „Das ist alles sehr traurig und mir tut es unendlich leid um das Team.“
Er fügt hinzu: „Alleine die Büros von Mimimi sind der Hammer – da steckt so viel spürbare Liebe zum Team und der gesamten Mannschaft drin. Ich habe in meinem Leben ja schon einige ‚Entwicklerbutzen‘ gesehen, aber ihr Studio war ein echtes Highlight: Einfach schön, durchdacht, menschlich, warm – im Prinzip so, wie das Studio selbst auch immer rüberkam.“
Adam kennt die beiden Mimimi-Gründer schon seit vielen Jahren, als sie sich gerade aus der Universität heraus gründeten und 2014 ihr erstes Spiel The Last Tinker veröffentlichten. Später unterstützte er das wachsende Team als Berater bei der Entwicklung von Shadow Tactics und Desperados 3 – die Mimimi-Fortsetzung des Western-Franchises, an dem er selbst 2001 als Producer noch mitgearbeitet hatte.

Zum Zeitpunkt des Interviews mit OK COOL kehrte Ralf Adam frisch von der Release-Party von Shadow Gambit zurück, die Mimimi trotz der bereits verkündeten Meldung von der Schließung pflichtgetreu abgefeiert hatte und schilderte seine Eindrücke: „Da habe ich mich lange mit vielen der (bald) ehemaligen Mimimis unterhalten. Natürlich war die Stimmung traurig und melancholisch, aber die Leute waren zugleich auch voller Stolz auf das Erreichte. Genau wie sie in ihrem offiziellen Blogpost geschrieben haben: ‚Wir hatten einen echt guten Lauf‘.“
Auch Branchenkollegen, die nicht direkt mit der Arbeit von Mimimi zu tun hatten, sondern die Arbeit des Studios aus der Ferne verfolgten, teilen die Traurigkeit und Enttäuschung über die angekündigte Schließung. Zu ihnen gehört Jörg Friedrich, Gründer des Berliner Studios Paintbucket Games und ehemals langjähriger Mitarbeiter von Yager: „Mich hat schon lange keine Nachricht mehr so geschockt. Dabei schließt ja alle Nase lang ein Studio, aber Mimimi war für mich so unerwartet und – ohne, dass ich eine engere Beziehung zu den Menschen dort hatte – für Indies war das immer das Vorzeigestudio gewesen. Aus eigener Kraft von ganz klein zu ordentlich groß gewachsen, dabei fair geblieben, die Leute gut behandelt und dann auch noch super Spiele gemacht die sich gut verkauft und wahnsinnig positive Kritiken bekommen haben.“
„Wenn ausgerechnet so ein Studio nicht mehr kann“, sagt Friedrich weiter, „dann weiß man: Es ist echt schwer geworden.“
Auch jüngere Entwicklergenerationen aus Deutschland sind über die Meldung schockiert – nicht nur wegen der individuellen Schicksale und Karrieren, die betroffen sind, sondern weil das große Vorbild Mimimi für die kleineren Studios nun nicht mehr existiert. Das sagt auch Ali Reder, Entwicklerin und Gründerin des Branchennetzwerks Femisphere: „Als 2016 Shadow Tactics erschien und auch international Anklang fand, war das wie ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass auch Deutschland frische und neue Ideen auf den Markt bringen kann. Damals hatte ich gerade meinen ersten Job in der Industrie angefangen und war neidisch darauf, dass es in den USA und Kanada anscheinend Raum für coole Indie Games und ihre MacherInnen gab, die dann auch noch kommerziell erfolgreich sind – aber in Deutschland scheinbar nicht.“
Mimimi habe zu dem Zeitpunkt das Gegenteil bewiesen und Ali Reder wie auch ihre KollegInnen inspiriert und motiviert. „Alleine deshalb ist es schon schade zu sehen, dass es dann trotz Erfolg doch nicht gereicht hat.“ Völlig überrascht ist die Entwicklerin dennoch nicht und verweist auf die harten Marktrealitäten der Branche: „Die Spieleindustrie ist nicht für ihre Langlebigkeit bekannt. Es wird gescherzt, dass die ‚Halbwertszeit‘ eines Arbeitnehmers bei fünf Jahren liegt, danach verlassen viele die Industrie. Bei Spielestudios sieht es nicht sehr anders aus, viele Firmen schließen schon wieder nach zehn Jahren.“
Viel Mitgefühl – aber auch Kritik aus den hinteren Reihen
Als einen zentralen Grund für ihre Schließung beschreibt das Mimimi-Gründerduo die kräftezehrende Suche nach neuen Budgets und die kurzen Erholungsphasen nach abgeschlossenen Projekten, die das Team über die Jahre ermüdet, vielleicht sogar ausgebrannt hat. Sowohl Indie-EntwicklerInnen wie langjährige Mitglieder der Branche, mit denen OK COOL gesprochen hat, können diese Begründung aus ihren individuellen Erfahrungen heraus bestätigen und sehr gut nachvollziehen.
Eine von ihnen ist die Entwicklerin Mascha Camino (heute: Guerilla Games, davor Maschinen-Mensch), die in der Branche gut vernetzt ist: „Genau diese Vorgänge habe ich schon in fast jedem deutschen Entwicklerteam beobachten können, in das ich Einblick haben durfte. Ich kann diesen permanenten Druck nachvollziehen, obwohl ich persönlich noch nicht nach Investoren oder finanzieller Unterstützung für mein eigenes Projekt suchen musste. Dafür war ich schon viele Male als Zuschauerin in vorderster Reihe mit dabei und sogar als MitarbeiterIn ist in diesen Phasen der Druck deutlich zu spüren. Dass man dann sagt, ich will nicht mehr, kann ich sehr gut nachvollziehen.“

Auch Ali Reder, die selbst konkrete Pitching-Erfahrung hat, stimmt Camino zu: „Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung, wie nervenzehrend die Suche nach Finanzierung sein kann. Das ständige Auf und Ab, wenn ein Publisher oder Investor Interesse zeigt und es dann aus den banalsten Gründen doch nicht klappt, frisst schon sehr viel mentale Energie. Es gibt in so einer Situation keine Stabilität und es ist schwierig etwas langfristiges zu planen in seinem Leben. In so einer Umgebung kreativ zu sein ist schwer und häufig macht man dann Spiele, die vielleicht Geld einbringen, aber niemand wirklich stolz drauf ist. Ich kann also die Beweggründe, Mimimi zu schließen, gut nachvollziehen und bin der Meinung, dass niemand seine Gesundheit, Familie und Lebensqualität für Videospielentwicklung opfern sollte.“
Weiter fasst Reder zusammen: „Viele Studios in der Branche haben die gleichen Probleme, aber die wenigsten können die bewusste Entscheidung treffen, nach ihren eigenen Bedingungen ein Studio zu schließen. Häufiger passiert es, dass ein Studio in Insolvenz gehen muss oder es wird aufgekauft und der Mutterkonzern entscheidet dann über die Schließung. Es hat etwas Würdevolles sagen zu können ‚Hiermit ist die Geschichte beendet.'“
Allerdings gibt es auch kritische Zwischentöne, die OK COOL in den Interviewanfragen und Gesprächen zur Causa Mimimi begegnen. Die Kritiker der Schließung, die nicht namentlich genannt werden wollen, stammen aus der älteren, erfahrenen Industrie-Riege und mahnen die Entscheidung des Gründer-Duos an, das Studio komplett zu schließen und die vielen fähigen, talentierten Angestellten vor die Tür zu setzen, statt einen Nachfolger zu finden.
Gerade im Münchner Großraum, in dem nicht allzu viele Studios von vergleichbarer oder ähnlicher Größe existieren, dürfte die Arbeitssuche einiger MitarbeiterInnen nun zur mittelgroßen Herausforderung werden. Diese schwierige Situation für die Betroffenen hätte laut der Kritiker vermieden werden müssen – schon aus Fürsorgepflicht für die eigenen Angestellten. Diese haben zumindest teilweise erst am Tag der Veröffentlichung des Statements von der geplanten Schließung erfahren, wie OK COOL aus dem näheren Umfeld des Studios berichtet wurde.
„Ich denke, die einzige Alternative, die Mimimi gehabt hätte – und so haben schon früher Studios in solchen Zeiten reagiert – wäre gewesen: bis auf eine Kernmannschaft runterschrumpfen und irgendwie versuchen sich durchwurschteln.“ So lautet die Analyse des erfahrenen Producers Ralf Adam, der die Entscheidung und Vorgehensweise des Studios angesichts der schwierigen Situation trotz allem gutheißt: „Aber auch das wäre hochgradig riskant. Es ist zum einen den Leuten gegenüber unfair (Wer bleibt? Wer geht? Willst du würfeln?) Zum anderen hast du als Firma dann ‚Alzheimer‘, will sagen: dir geht viel Wissen verloren – und wenn dann wieder Geld reinkommen sollte, fängst du in ganz vielen Bereichen wieder bei Null an. Das ist auch für einen Publisher riskanter, denn dreiviertel des Teams, das den erfolgreichen Vorgänger gebaut hat, gar nicht mehr da ist. Und von der Teammotivation wollen wir gar nicht erst anfangen.“
Die Abwärtsspirale hat (mal wieder) begonnen
Mit seiner langjährigen Erfahrung bemüht sich der Producer Adam um eine gesamtheitliche Einordnung der Schließung von Mimimi, die in seinen Augen ein weiteres von vielen Zeichen ist, dass die Spielebranche weltweit in eine Abwärtsspirale geraten ist – mal wieder: „Spielentwicklung durchlebt seit ich denken kann immer wieder dieselben Zyklen. Und wir befinden uns aktuell mal wieder in vielerlei Hinsicht am Ende eines solchen Zyklus – und damit in einer Talsohle, was zum Beispiel die Verfügbarkeit von Investoren und Geldern angeht.“
Aktuell, so Adam weiter, schauen viele, die auf den begehrten Investitionsgeldern sitzen, erst einmal dabei zu, wie ganz großen Player ihre Karten spielen: „Aktuell hängt viel davon ab, wie der Microsoft-Blizzard-Deal ausgehen wird, wie die Reaktion von Sony aussieht – und nicht zuletzt, was Nintendo mit der Switch 2 vorhat, die wohl noch dieses Jahr angekündigt wird. Das ist im Moment eine Situation wie am Poker-Tisch, wenn jeder erst mal abwarten, um wie viele Chips der Spieler vor ihm erhöht.“

Dazu kommen noch weitere, besondere Einflussfaktoren, die die Entwicklung der Branche und die Geldströme bremsen: Krieg in Europa, Rezension, geleerte Fördergeldtöpfe, noch immer Nachwirkungen der langen Pandemie und ganz frisch nun die Ankündigung, dass die vielfach benutzte Game-Engine Unity auf ein neues Preismodell umsteigt, welches die Existenz zahlloser Studios bedrohen könnte. Adam fasst zusammen: „Es gibt immer die Heyday-Zeiten, in denen alle mit Geld um sich schmeißen und kaufen, was nicht bei Drei auf den Bäumen sitzt. Und es gibt Zeiten, wie wir sie aktuell haben. Ein weiteres Beispiel: Die Embracer-Group, die Gearbox loswerden wollen, die sie erst für 1,38 Milliarden eingekauft haben. Da weißt du dann auch, dass die Party vorbei ist.“
Diesen Druck der Abwärtsspirale spüren und beschreiben alle EntwicklerInnen, mit denen OK COOL spricht. Auch Jörg Friedrich, der mit Paintbucket Games und Through the Darkest of Times auf große Erfolge zurückblicken kann, muss über Konsequenzen für seine Arbeit nachdenken: „Das ist alles super scary. Wir merken all das auch und suchen zum Beispiel schon seit Ewigkeiten nach einem Publisher für The Darkest Files – es wird alles immer schwieriger. Es gibt kein billiges Geld mehr, dafür umso mehr Flops und Publisher sind sehr vorsichtig geworden. Das klassische Prinzip ‚ich mache ein gutes Spiel und dann kaufen es genug“ oder ‚ich habe eine coole Idee und ein Publisher unterstützt mich‘ ist mittlerweile kein gangbarer Weg mehr. Für uns bedeutet das konkret, dass wir uns genau anschauen, was es noch für uns gibt außer die Entwicklung von Indie-Games.“
Die Gefahr von abwandernden Talenten liegt greifbarer denn je in der Luft und es ist schwer, trotz dieses Stimmungsbild optimistisch in die Zukunft zu blicken. Die Entwicklerin und Femisphere-Gründerin Ali Reder versucht es dennoch: „Mimimis Geschichte ist leider kein Einzelfall und wird sich noch viele Male wiederholen. Das ist auf der einen Seite erschöpfend und demotivierend zu beobachten, vor allem wenn man selbst irgendwann ein eigenes Studio gründen möchte. Aber auf der anderen Seite kann man von Misserfolgen auch viel lernen. Wer weiß, vielleicht finden wir ganz nach dem Trial-and-Error Prinzip eine neue Art und Weise, Spiele zu entwickeln, die nachhaltig und erfolgreich ist.“
Ralf Adam schließlich sucht Trost bei Star Wars – und auch im schriftlichen Zitat kann man ihn noch verzweifelt lachen hören, wenn er sagt: „Jedes Team, egal welcher Größe, das sich in Deutschland traut, Spiele zu entwickeln, sollte eigentlich von vorneherein mit dem Bundesverdienstkreuz für besondere Tapferkeit ausgezeichnet werden. Wer langfristig erfolgreich sein will, muss den Markt ganz genau durchleuchten und eine Studiostrategie ersinnen, die auf mindestens fünf Jahre ausgerichtet ist. Oder, um es mit Han Solo zu sagen: ‚Traveling through hyperspace ain’t like dusting crops, boy! Without precise calculations we could fly right through a star or bounce too close to a supernova and that’d end your trip real quick, wouldn’t it?'“
Zur weiteren Einordnung und Diskussion dieses Themas hat sich Dom Schott gemeinsam mit dem Streamer Writing Bull vor das Mikrofon gesetzt, um über die Folgen der Schließung und die Reaktion der Branche zu sprechen. Den Podcast gibt es überall, wo es Podcasts gibt – und hier:
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